Freitag, 16. Oktober 2009

Der Lügenbeutel

Die Autorin Ursel Scheffler hat die Kurzgeschichte "Der Lügenbeutel" geschrieben. Ich zitiere aus dem Deutschbuch meines Sohnes: "Es war einmal ein Mann, der behauptete, alles Elend dieser Welt käme daher, dass die Leute nicht ehrlich zueinander wären. Er nahm sich daher vor die Welt von Lügen zu befreien."

Ich erzähle die Geschichte kurz nach. In einem Sack sammelte er alle Lügen ein, die er finden konnte. Er fing sie mit einem Schmetterlingsnetz. Da die Lügen irgendwann aufgebraucht waren, hatten die Menschen sich nicht mehr viel zu erzählen. Er sammelte als nächstes die Lügen aus Zeitungen, TV und Telefongesprächen. Die Zeitungen hatte leere Seiten, das TV hatte Ton- und Bildausfall, die Telefonnetze waren gestört. Das Problem der Menschen war, dass sie nicht viel an Wahrheiten wussten. Aus "guten Tag", wurde "schlechter Tag". Aus "es freut mich, sie zu sehen" wurde "wie es mich ärgert, dass ich sie treffe".
Zitat: "Die Wahrheit im falschen Augenblick, am falschen Ort ist manchmal sehr schmerzlich."

Man stellte fest, dass es gefährlicher ist die Wahrheit zu sagen. Der Lügensammler ließ die Lügen aus seinen Sack. Sie waren unsichtbar, verflüchtigten sich und alles war wieder beim Alten. Jeder muss selber herausfinden, was wahr oder unwahr ist.

Ich hatte mal eine ausgesprochen hübsche Kollegin mit einer Traumfigur, die sich grauselig anzog. Regelmäßig kam sie mit irgendeinem neuen Schlabber-Kleidungsstück. Sie kombinierte Farben, dass man blind werden konnte. Die Schuhe, die sie trug, glichen einer Katastrophe. Sie drehte sich um, führte es uns vor und sagte: "Na, ist das nicht toll?" Alle sagten ja. Ich schwieg. Wenn sie das Büro verließ, wurde sich über sie lustig gemacht. Das fand ich mies und ich habe gegenüber den Kollegen daraus keinen Hehl gemacht.

Eines Tages fragte sie mich, warum ich als Einzige schweigen würde, wenn sie fragt. Ich habe sie gefragt, ob sie eine höfliche oder eine ehrliche Antwort möchte? Sie wollte die ehrliche Antwort. Ich sagte ihr, dass ich am liebsten ein Feuer in ihrem Kleider- und Schuhschrank legen würde und bot ihr an mit ihr eine Shoppingtour zu machen (shopping nach Frauenmanier ist für mich eine Qual). Wir haben stundenlang eingekauft. Kleidung und Schuhe, die zu ihrem Typ und ihrer fantastischen Figur passten. Bei der Gelegenheit habe ich sie zum Frisör entführt und wir haben ihr tonnenweise grellen Lippenstift und Lidschatten ausgeredet. Das hatte sie gar nicht nötig bei ihrer Naturschönheit. Es war die Typumwandlung zur "pretty woman". Ein Stern war geboren. Kurz danach hat sie ihren Traummann kennengelernt.

Ein anderer Kollege beklagte sich bei mir, dass die Leute sein Büro nicht betreten wollen und er das Gefühl hätte alle schreckten vor ihm zurück. Das verstand er nicht und ob ich wüßte, woran das liegen könnte? Auch er hatte die Wahl zwischen einer höflichen oder einer ehrlichen Antwort. Meine ehrliche Antwort war: "Nimm mal ein Näschen unter deinen Achseln, dann weißt du warum.Wenn du die Lösung deines Problems nicht weißt, werde ich sie dir gerne verraten." Er roch nie mehr wieder nach Schweiß. Ihm selber war das nicht aufgefallen. Kurz danach hatte er seine Traumfrau kennengelernt. Ich hatte von da an regelmäßig einen Strauß frischer Blumen auf meinem Schreibtisch stehen. Geht doch und danke für die Blumen! Die Zwei Neugeborenen verströmten um sich viel positive Energie.

Wenn sie mich nicht gefragt hätten, hätte ich niemals etwas gesagt. Es muss ja jeder selber wissen, wie er sich präsentiert. Zu fragen bedeutet u.U. eine hilfreiche Antwort zu bekommen.
Es bringt wenig, Menschen unliebsame Wahrheiten um die Ohren zu schmettern, wenn man ihnen keine Lösung anbieten kann. Vor allem sollte man sie nicht vor anderen bloß stellen oder hinter dem Rücken über sie lästern.

Wahre Freunde sind Menschen, die uns ganz genau kennen und trotzdem zu uns halten.

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